Grundlagen des Aikido

Der Gründer des Aikido, Morihei Ueshiba, wurde 1883 in Tanabe (Japan) geboren. Sein Anspruch war es, mit Aikido einen Weg zur Persönlichkeitsentwicklung zu schaffen und nicht einfach eine weitere Methode der Selbstverteidigung oder Kriegskunst. Er folgte dabei dem Leitspruch “Masakatsu Agatsu” – “Ein wirklicher Sieg ist der Sieg über sich selbst”. Für Ueshiba Sensei lag das Ziel im Kampfkunsttraining nicht darin, andere zu besiegen. Aikido sollte eine Methode sein, um sich selbst zu vervollkommnen.

Daher unterscheidet sich Aikido in mehreren Punkten von anderen Kampfkünsten:

  • Aikido baut keinen Widerstand mit Kraft auf, sondern lenkt die Kräfte des Angreifers um.
  • Aikido verwendet die Dynamik des Angreifers zur Ausführung der Technik.
  • Aikido kontrolliert den Angreifer nicht durch Konfrontation und Kraft, sondern durch Flexibilität.
  • Aikido kennt keine Wettkämpfe.
  • Aikido kultiviert Ethik und Gnade einem Angreifer gegenüber.

In der Bedeutung des Namens – AI KI DO – widerspiegeln sich diese Grundsätze:

AI = Vereinigung, zusammenführen
KI = Geist, geistige Kraft, Energie, Lebenskraft
DO = Lebens- und Entwicklungsweg

Der Entwicklungsweg im Aikido

Am Anfang steht die Körperschulung mit Gymnastik und Geschicklichkeitsübungen. Durch fleissiges und beständiges Üben wird die Gewandtheit und Dynamik der Körperbewegungen gefördert.

Mit zunehmender Körperbeherrschung wird man sicherer und lockerer. Rollen und Fallen - im Training auf Matten ausgeführt - wird einfacher. Das Körperbewusstsein wächst, ebenso wird das statische und dynamische Gleichgewicht stabiler. Man lernt, sich der Angriffskraft nicht entgegenzustemmen, sondern sich dem Angriff durch geschickte Bewegung und rechtzeitiges Ausweichen mit Schritten und Drehungen anzupassen.

Alle Techniken sind nur ausführbar, wenn man selbst ein gutes Gleichgewicht und Standvermögen hat. Darin zeigt sich die Überlegenheit einem Angreifer gegenüber: Nur aus der Stärke dieses stabilen Bewegungsvermögens heraus kann man den Angreifer führen, lenken und auch werfen.

Man beginnt zu erkennen, dass es nicht länger darauf ankommt, einen Gegner, Angreifer oder Partner im Training unbedingt zu besiegen, zu werfen und zu überwältigen, sondern sich selbst zu schulen und weiterzuentwickeln. Der Aikidoka sieht davon ab, einen Angreifer ernsthaft zu verletzen. Solche Absichten hegt in der Regel der Angreifer - der Aikidoka begegnet ihm mit technischer Fertigkeit und geistiger Gelassenheit. Dadurch, dass er sich nicht der Kraft und Gewalt bedient, führt er den Angreifer hin zum Frieden und zum Verständnis, den Angriff besser abzubrechen.

"Wahres Budo kennt keine Niederlage."
Morihei Ueshiba

Aiki, Energie und Do

 Da bei der Ausübung von Aikido nicht so sehr Faktoren wie Kraft, Ausdauer und Kondition zum gewünschten Erfolg führen, sondern Flexibilität, Gewandtheit und Körperbeherrschung, ist es schwierig, Aussenstehenden den energetischen Teil von Aikido näher zu bringen.

Von zentraler Bedeutung ist die Körperspannung - der Tonus. Der Spannungszustand der Muskulatur wird beeinflusst durch Körperbau, allgemeinen Gesundheitszustand, Fitnessgrad, aber auch durch Tagesform und geistige Aktivität, Sorgen und Nöten. Der ideale Spannungszustand für die Ausführung von Aikido-Techniken ist, wie bei vielen Dingen, ein gesundes Mittelmass.

Mit zu geringer Körperspannung kann der Partner nicht geführt werden. Man ist nicht in der Lage, die eigene Sphäre gebührend zu schützen, den Partner auf Distanz zu halten und die Techniken in optimaler Entfernung abzuwickeln. Zu grosse Spannung sichert zwar die Distanz zum Partner, aber eine kontrollierte Führung des Angreifers hin zu einer Neutralisation des Angriffs ist nicht möglich, denn mit der hohen Spannung erhält man kein "Feedback" über die Eigenbewegung des Angreifers. Die sensorische Wahrnehmung von Berührung, Druck oder Zug von Seiten des Angreifers ist gestört. Diese ist aber unbedingt erforderlich, da die Strategie der Aikido-Abwehr auf der Ausnützung der Angriffsenergie, der Eigenbewegung des Angreifers beruht.

Wie lange es dauert, bis man sich die richtige Körperspannung angeeignet hat, ist sehr individuell. Der Lektionsaufbau im Aikido-Unterricht unterstützt ihre Entwicklung. Die Gymnastikübungen zu Lektionsbeginn (Aikitaiso – siehe „Trainingsaufbau“) fördern die Zirkulation und Kraft der inneren Energien des Körpers.  

> Sitzhaltungen mit Stimuli der Energiemeridiane des Körpers

Uke & Ukemi: Die Rolle des Angreifers

Ukemi-waza: "Falltechnik" - Uke: der Angreifer, eigentlich "der Empfangende der Technik"

Aikido kann man nicht alleine lernen, nicht aus Büchern und nicht vom Sofa aus. Man lernt es zu zweit oder in der Gruppe im Dojo. Um Fortschritte zu erzielen, kann der lernende Aikidoka sich nicht nur auf die Ausführung der Techniken beschränken. Er muss auch Angriffe korrekt ausführen können, damit er die Wirkung der Techniken auf den Angreifer ebenso erlebt. Ein korrekter Angriff beschränkt sich nicht auf die äusserlich gut sichtbaren Angriffsbewegungen oder Griffe. Er umfasst weitere, von aussen kaum sichtbare Qualitäten:

  • eine dem Können des lernenden Partners angepasste Ausführung
  • stabiler, sicherer Griff mit lückenlosem Schliessen der Fäuste beim Greifen und Beibehalten dieses sicheren Griffs auch in der Bewegungsfolge
  • eine mutige, ohne Zögern und mit ausreichender Dynamik ausgeführte Angriffsbewegung
  • die kontinuierliche Weiterführung der Initialangriffsbewegung, auch wenn der Partner bereits Gegenmassnahmen eingeleitet hat
  • das Akzeptieren der Gegenmassnahmen des Verteidigers zur Unterstützung von dessen Lernfortschritten

Speziell der letzte Punkt mag für Anfänger und Aussenstehende unlogisch erscheinen. Wieso soll der Angreifer die Gegenmassnahmen akzeptieren? Obwohl im Anfängergrad durchaus möglich, ist ein Blockieren der Technik nicht erwünscht. Es hindert nicht nur den Bewegungsfluss, sondern birgt erstens beträchtliches Verletzungsrisiko. Zweitens versteift sich der Angreifer durch Blockieren, wodurch er zwar die Gegenmassnahmen nicht mehr zulässt, aber auch deren Wirkung und Bewegungsrichtung nicht mehr erfährt. Er blockiert damit letzlich auch seine Lernfortschritte. Drittens ist mit Blockieren ein Folgeangriff ebenfalls unmöglich. Das ist aber die logische Fortsetzung eines im ersten Moment ins Leere stossender Angriff: Die Folgebewegung beinhaltet wieder Dynamik, welche dem praktizierenden Aikidoka Gelegenheit zur Übung bietet. Unaufmerksamkeit und offene Positionen treten zutage.

Ein erfahrener Aikidoka kann einen sich der natürlichen Bewegung widersetzenden Partner mit adäquaten Interventionen trotzdem lenken:

  • Kuzushi - Brechen des Gleichgewichts oder Stören der Stabilität des Angreifers
  • Atemi-waza - Störaktionen mittels Schlägen
  • Renraku-waza - das Fortführen einer eingeschlagenen Angriffsbewegung  bis zu dessen Unwirksamkeit
  • Henka-waza - entgegen der ursprünglich eingeschlagenen Bewegung ausgeführte Gegenmassnahmen (Aikido-Technik)

 

Im Aikido gilt: Alle Anwesenden, ob Anfänger oder Fortgeschrittene, sind auch Uke. Die Rollen - Angreifer/Verteidiger - werden beidseitig geübt. So wird das Erzielen von Fortschritten zur partnerschaftlichen Gemeinschaftsaufgabe: In der Rolle des Verteidigers lernt man die korrekte Anwendung der Techniken. In der Rolle des Angreifers erfährt man einiges über die Wirkung der ausgeführten Technik und über die Wirkungslosigkeit des Angriffs. 

Auch ein Schwarzgurtträger stellt sich also beispielsweise als Uke in den Dienst des übenden Anfängers, damit dieser lernen und sich weiterentwickeln kann.

Damit gute 'Uke-Arbeit' gefahrlos geübt werden kann, sind Vorbereitungen unerlässlich. Man muss in der Lage sein, flexibel seiner eigenen Angriffsbewegung sowie der Technik des Verteidigers zu folgen. Stürze und Würfe müssen ohne eigene oder Fremdgefährdung aufgefangen werden können.

Abrollen aus allen denkbaren und vielleicht noch ein paar (fast) undenkbaren Positionen, Auffangen von Stürzen mittels energieverzehrendem Abklopfen auf dem Untergrund u.v.m. gehören daher zum nötigen Repertoire eines guten Ukes. Das Erlernen und Üben dieser Fertigkeiten ist Bestandteil jeder Lektion.